Prost Mahlzeit! Advents- und Weihnachtszeit sind besonders herausfordernd für unsere Verdauung

Die Advents- und Weihnachtszeit fordert unseren Magen-Darm-Trakt heraus. Verdauungsprobleme sind quasi vorprogrammiert. Gastroenterologin Dr. Miriam Stengel erklärt in einem Interview der Zeitschrift freundin, was unsere Darmbakterien mit einer entspannten Weihnachtszeit zu tun haben und wie wir sie positiv beeinflussen können.

PROST MAHLZEIT

Viel Essen, wenig Bewegung und jede Menge Stress: Die Advents- und Weihnachtszeit verlangt unserem Magen-Darm-Trakt ordentlich etwas ab. Wie wir ihm helfen können, verrät Neurogastroenterologin Miriam Stengel im Interview.

 

Frau Dr. Stengel, zu keiner Zeit im Jahr werden mehr Magen-Darm-Mittel verkauft als im Advent. Warum hat es unsere Verdauung gerade da so schwer?

Ein großes Problem ist, dass man oft einfach zu viel isst – und dann auch noch das Falsche. Zudem ist die Zeit besonders stressig, mit unzähligen Verabredungen und Terminen, die einem schnell auf den Magen schlagen. Wenn man dann noch vor dem Fest viel unterwegs ist, gar im Ausland, um die Verwandtschaft zu besuchen, kann die Verdauung ganz durcheinanderkommen. Wir wissen heute, dass sich die Zusammensetzung unserer Darmbakterien, also unseres Mikrobioms, auch durch Ortswechsel verändern kann.

Fangen wir mit dem Essen an: Warum liegt uns das Essen manchmal wie ein Stein im Magen?

Das passiert, wenn man mehr isst, als in den Magen passt. Unser Magen ist ungefähr faustgroß. Beim Essen dehnt er sich aus. Sobald er eine bestimmte Dehnung erreicht hat, signalisiert er dem Gehirn: ‚Du hast genug gegessen, jetzt ist Schluss‘. Ignoriert man diese Signale, transportiert der Magen nichts mehr weiter, die Verdauung kommt zum Erliegen und das Essen liegt schwer im Magen. Gerade bei sehr fett- und eiweißreichen Speisen in Kombination mit Alkohol passiert das schnell.

Dann ist ein Schnäpschen keine gute Idee?

Davon kann ich nur abraten. Alkohol betäubt zwar die Muskeln im Magen und entspannt sie. Das fühlt sich aber nur im ersten Moment gut an, tatsächlich führt Alkohol dazu, dass sich der Magen noch langsamer entleert. Auch Kaffee hilft nur bedingt: Er regt zwar bei manchen die Darmtätigkeit an, fördert aber nicht die Magenentleerung.

Was hilft wirklich?

Das Beste ist Bewegung. Sie aktiviert und massiert die inneren Organe und beschleunigt die Verdauung. So kann zum Beispiel die Luft aus einem aufgeblähten Bauch besser entweichen. Durch regelmäßige Bewegung verweilen auch potenziell krebserregende Stoffe, die mit dem Stuhl ausgeschieden werden, kürzer im Körper; das Krebsrisiko sinkt. Studien zeigen auch, dass sich durch Bewegung Darmbakterien vermehren, die kurzkettige Fettsäuren produzieren. Diese kann der Körper nicht selbst herstellen, obwohl sie für ihn lebensnotwendig sind.

Wie viel Bewegung sollte es sein?

Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt 150 Minuten moderate oder 75 Minuten intensive Bewegung pro Woche. Das bedeutet nicht automatisch, dass man dafür ins Fitnessstudio gehen muss. Bei Garten- oder Hausarbeit bewegen wir uns auch.

Wie komme ich magenfreundlich durch die Feiertage?

Indem Sie das Essen mehr genießen und jeden Bissen gut kauen. Dann können die Verdauungsenzyme im Speichel ihre Arbeit im Mund besser verrichten und die Nahrung aufspalten. Dadurch wird es leichter verdaulich. Wer genießt, isst auch automatisch weniger. Denn je langsamer man isst, desto schneller meldet das Gehirn: ‚Der Magen ist voll‘. Dann sollte man darauf hören, die Gabel beiseitelegen und sich freuen, dass es morgen wieder leckere Reste gibt. In vielen Kulturen, zum Beispiel in Japan, wird empfohlen, den Magen immer nur zu 80 Prozent zu füllen. Japaner essen nicht, bis sie satt sind, sondern bis sie keinen Hunger mehr haben. Das gilt als Schlüssel zu einem langen Leben.

Wie nützlich sind Essenspausen wie beim Fasten?

Es gibt viele Menschen, denen es beim Intervallfasten sehr gut geht. Dabei verzichtet man 16 Stunden am Stück über Nacht auf Nahrung. Menschen mit Magen-Darm-Problemen rate ich davon aber ab. Für sie ist es besser, mehrere kleine Mahlzeiten über den Tag verteilt zu essen als drei oder nur zwei große.

Über welches Essen freut sich unser Verdauungssystem?

Am wichtigsten sind Ballaststoffe, die in Gemüse, Hülsenfrüchten und Vollkornprodukten reichlich enthalten sind. Zusammen mit viel Flüssigkeit quellen sie auf und beschleunigen die Ausscheidung. Ballaststoffe sind auch die Nahrung unserer Darmbakterien. Diese Mikroorganismen fördern nicht nur die Verdauung, sondern stärken auch unser Immunsystem. Denn der größte Teil unserer Abwehrkräfte sitzt im Darm. Hilfreich für ein gesundes Mikrobiom sind auch probiotische Lebensmittel wie Kefir, Joghurt oder Sauerkraut, die von Natur aus Bakterien enthalten, die unserem Darm guttun. Letztlich freut sich unsere Verdauung über eine ausgewogene Ernährung mit je einem Drittel Kohlenhydraten, Eiweiß und Fett – wobei Letzteres gerne etwas weniger sein darf und vor allem aus pflanzlichen Quellen stammen sollte.

Was ist mit Zucker?

Zucker kann das Mikrobiom stören und die Vermehrung ungünstiger Bakterien fördern. Haushaltszucker kann aber noch aus einem anderen Grund problematisch sein: Im Dünndarm wird er in seine Bestandteile Glukose und Fruktose, also Fruchtzucker, gespalten. Viele Menschen reagieren auf zu viel Fruchtzucker mit Blähungen oder Durchfall. Außerdem fördert er die Entstehung von Stoffwechselerkrankungen oder einer Fettleber. Haushaltszucker und künstlich gesüßte Lebensmittel sollte man deshalb möglichst wenig konsumieren. Obst ist aber erlaubt, denn in seiner natürlichen Form ist Fruchtzucker besser verträglich.

An Weihnachten liegt uns nicht nur das Essen schwer im Magen, sondern auch der Besuch der Verwandten. Warum bekommen wir Bauchschmerzen, wenn uns etwas belastet?

Unser Magen-Darm-Trakt reagiert sehr schnell auf psychische Belastungen, weil er über ein eigenes Nervensystem verfügt. Dieses ist entwicklungsgeschichtlich sogar älter als unser Großhirn und arbeitet ganz allein, ohne Steuerung durch unser Gehirn. Die beiden Nervensysteme sind jedoch eng miteinander verbunden. Kleinste Impulse, die oft unbewusst ablaufen, reichen aus, damit unser Darmnervensystem blitzschnell auf einen Reiz reagiert. Auch Stresshormone haben einen direkten Einfluss auf unsere Verdauung.

Was bewirken sie?

Das Stresshormon CRF, auch Corticotropin Releasing Factor genannt, behindert zum Beispiel die Entleerung des Magens, der Bauch fühlt sich voll an und drückt. Im Darm dagegen wirkt CRF gegenteilig und fördert den Einstrom von Wasser. Durchfall kann die Folge sein.

Was hat sich die Natur denn dabei gedacht?

Aus evolutionärer Sicht sind diese Mechanismen durchaus sinnvoll, wenn Gefahr droht. In solchen Akutsituationen sorgt das Hormon dafür, dass körperliche Bedürfnisse erst einmal hintenangestellt werden, dass man zum Beispiel auf der Flucht keinen Hunger hat oder aufs Klo muss. Denn Durchfall setzt meist schon ein, wenn man die Gefahr nur spürt. Das kann man auch heute noch vor Stressphasen wie Prüfungen beobachten.

Die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn soll aber auch in umgekehrter Richtung funktionieren. Unser Darm kann uns also glücklich machen?

Ja, da ist auf jeden Fall etwas dran. Ein großer Teil des Glückshormons Serotonin wird im Darm gebildet und nicht im Gehirn. Auch hier spielen unsere Darmbakterien eine wichtige Rolle: Sie stellen die Bausteine her, aus denen Serotonin aufgebaut wird oder produzieren es ganz selbst. Damit haben diese Mikroorganismen einen direkten Einfluss auf unser Wohlbefinden.

Kann man diese Erkenntnisse nutzen, um die eigene Stimmung zu verbessern?

Es wird derzeit viel geforscht, um herauszufinden, ob sich Probiotika positiv auf unsere Psyche auswirken und so zum Beispiel Depressionen lindern können. Konkrete Empfehlungen kann man aber noch nicht geben – außer, dass wir den Bakterien auch deshalb immer genug Ballaststoffe zum Fressen geben. Das ist auch für unsere psychische Gesundheit wichtig.

Kann man erkennen, ob Bauchschmerzen eine psychische oder eine organische Ursache haben? Gerade bei Kindern ist das oft schwierig …

Bei kleinen Kindern ist das mit dem Bauchweh wirklich nicht einfach: Wenn sie sich unwohl fühlen, also auch wenn es zum Beispiel im Rücken zwickt, sagen sie sehr oft, dass ihnen der Bauch wehtut. Auf jeden Fall sollte man die Beschwerden immer ernst nehmen, Einfühlungsvermögen ist ein wichtiger Teil der Behandlung. Für psychosomatische Bauchschmerzen spricht, wenn sie nicht nachts oder in ruhigeren Zeiten wie im Urlaub auftreten und das Kind schlafen kann. Grundsätzlich halte ich die Trennung zwischen organisch und psychisch bedingten Bauchschmerzen für nicht sinnvoll. Körper und Seele gehören zusammen und bedingen einander. Sorgen und Ängste können zu echten körperlichen Beschwerden wie Herzrasen oder Bauchkrämpfen führen.

Was hilft einer gestressten Verdauung?

Eine Wärmflasche entspannt die Muskulatur und löst Verkrampfungen. Das Gleiche gilt für Bewegung, die zusätzlich Stresshormone abbaut. Gut ist auch immer, wenn man mit jemandem über seine Sorgen reden kann. Auch tiefes Atmen in den Bauch und spezielle Meditationsübungen für Magen und Darm sorgen für ein gutes Bauchgefühl. Bei Reizdarmbeschwerden, unter denen in Deutschland jeder Zehnte leidet, sind solche mentalen Techniken neben Ernährungsberatung und Symptombekämpfung inzwischen ein wichtiger Bestandteil der Therapie. Bei diesen funktionellen Magen-Darm-Beschwerden ohne organische Ursache spielt die Verdauung oft verrückt: Blähungen, Durchfälle, Krämpfe und Verstopfung wechseln sich ab.

Wann sollte man zum Arzt?

Es gibt einige Warnsignale: Bei Blut im Stuhl, Gewichtsverlust, starken Schmerzen innerhalb kurzer Zeit und heftigen, fiebrigen Durchfällen sollte man sofort zum Arzt gehen. Gleiches gilt, wenn die Beschwerden länger als eine Woche anhalten oder immer wieder auftreten.

Im Winter lauern wieder vermehrt Magen-Darm-Infekte. Kann man sich schützen?

Das ist oft schwierig, vor allem Noroviren, die heftige Brechdurchfälle auslösen, sind hoch ansteckend. Betroffene Familienmitglieder sollten am besten eine eigene Toilette und immer ein eigenes Handtuch benutzen. Schon kleinste Spuren reichen aus, um sich anzustecken. Die Partikel können auch nach dem Erbrechen in der Luft schweben. Gutes Lüften und das Tragen eines Mundschutzes können das Risiko für Angehörige verringern.

Was hilft gegen die Beschwerden?

Dagegen kann man leider nicht viel tun – die Viren müssen einfach raus. Viel trinken ist wichtig, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Dazu sollte man sich gut ausruhen. Gesunde Menschen stecken die Erkrankung aber in der Regel gut weg – nach ein bis zwei Tagen ist der Spuk meist wieder vorbei.

 

(Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift freundin, Ausgabe 26/23. Barbara Sonnentag interviewte Dr. Miriam Stengel. Die Internistin und Gastroenterologin der Helios Klinik Rottweil ist seit ihrem Studium fasziniert von den Zusammenhängen zwischen Psyche und Verdauungssystem. Für das Thema macht sie sich heute in der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie & Motilität stark.)

 

3 ÜBUNGEN FÜR EINE ENTSPANNTE MITTE

  1. ACHTSAM WERDEN Auf den Rücken legen, eine Minute tief und gleichmäßig atmen. Wie fühlen sich die Körperstellen an, die den Boden berühren? Das rechte Knie dann langsam zum Bauch heben, 30 Sekunden halten – immer entspannt weiteratmen. Wie fühlt sich der Bodenkontakt nun an? Bein langsam ablegen, zehn Sekunden relaxen und mit dem linken Knie wiederholen.
  2. BAUCH EINZIEHEN Auf den Rücken legen, Beine leicht anwinkeln. Den unteren Bauch nun möglichst weit einziehen, dabei hörbar und kraftvoll durch die Nase ausatmen. Danach den Bauch mit einem Ruck in seine Ausgangsposition zurückschnellen lassen. Das Ganze fünfmal nacheinander, dann eine Minute pausieren und noch einmal wiederholen.
  3. SANFT DRÜCKEN Aufrecht in den Schneidersitz setzen, die Schultern ziehen leicht nach unten. Unterarme anwinkeln und beide Hände zu Fäusten ballen. Die Daumen liegen obenauf und drücken leicht auf die Faust. Etwa eine Minute gleichmäßig in den Bauch atmen und in ihn hineinspüren. Danach die Arme ausschütteln.

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