Die Krankheitsursachen des Reizdarmsyndroms
Lange Zeit wurden Betroffene als hypersensibel belächelt. Heute weiß man, dass das Reizdarmsyndrom eine ernst zu nehmende, organisch verursachte Gesundheitsstörung darstellt, die der ärztlichen Behandlung bedarf.
An der Krankheitsentstehung ist ein Zusammenspiel mehrerer Ursachen, von der genetischen Veranlagung bis zur Störung des Gleichgewichts des Immunsystems im Magen-Darm-Trakt, beteiligt.
Frage: Was ist die Ursache des Reizdarmsyndroms?
Antwort: Die genaue Ursache des Reizdarmsyndroms ist bislang nicht bekannt. Es gibt jedoch Hinweise auf verschiedene Faktoren, die an der Krankheitsentstehung beteiligt sein können:
So wird vermutet, dass möglicherweise die Barrierefunktion des Darmes bei den Patienten gestört ist. Der Darm ist als Hohlorgan mit einer eigenen Haut, der Darmschleimhaut ausgekleidet. Sie übernimmt die Barrierefunktion, hat also die Aufgabe, das Körperinnere gegen das Eindringen von Giftstoffen und Krankheitserregern abzuschirmen. Dies ist wichtig, denn der Darm ist mit Milliarden von Bakterien, der Darmflora besiedelt. Die Bakterien haben wichtige Funktionen bei der Verdauung der Nährstoffe, dürfen aber nicht ins Körperinnere gelangen, da sie sonst Krankheiten hervorrufen könnten. Ist die Barrierefunktion gestört, so kann dies möglicherweise Folgen für die Funktion des Darmes haben und ein Reizdarmsyndrom hervorrufen oder verstärken.
Ein zweiter Faktor, der an der Krankheitsentstehung beteiligt sein kann, sind Störungen der Muskelkontraktionen und der Muskelkoordination im Darm. Denn unser Darm ist wie ein Schlauch aufgebaut. Er wird von kräftigen Muskeln gebildet, welche die Aufgabe haben, den Speisebrei voran zu transportieren. Das Zusammenspiel der Darmmuskeln ist bei gesunden Menschen fein aufeinander abgestimmt. Kommt das System aus dem Takt, so drohen Bewegungsstörungen, die sogenannten „Motilitätsstörungen“, wie der Mediziner sagt. Dann wird der Speisebrei entweder viel zu rasch durch den Darm transportiert oder er bleibt bei mangelnden Darmkontraktionen einfach an Ort und Stelle liegen. Es drohen folglich Durchfälle oder Verstopfung und zudem Blähungen, Völlegefühl und Bauchschmerzen, also ein Reizdarmsyndrom.
Ebenso kann es sein, dass die Schmerzschwelle im Nervensystem des Magen-Darm-Traktes bei den betreffenden Patienten etwas herabgesetzt ist. Denkbar ist, dass Menschen mit Reizdarmsyndrom auf eine Dehnung der Darmmuskulatur mit einer erhöhten Empfindlichkeit reagieren. Diese erhöhte Sensibilität kann zur Folge haben, dass sie ein Unwohlsein oder sogar Schmerzen in Situationen wahrnehmen, die andere als völlig beschwerdefrei erleben. Dafür sprechen Befunde, wonach Reizdarmpatienten einen im Enddarm geblähten Ballon und die dadurch verursachte Dehnung deutlich früher als schmerzhaft empfinden als Menschen mit gesundem Darm.
Vermutet wird, dass nicht einer der aufgeführten Faktoren allein, sondern wahrscheinlich ein Zusammenspiel mehrerer Ursachen an der Krankheitsentstehung beteiligt ist. Dabei kann möglicherweise auch eine genetische Veranlagung, also eine in den Erbanlagen festgelegte erhöhte Krankheitsempfindlichkeit, eine Rolle spielen. Auch eine Störung des Gleichgewichts des Immunsystems im Magen-Darm-Trakt ist möglich.
Frage: Spielen die Gene eine Rolle und wird Reizdarmsyndrom vererbt?
Antwort: Beim Reizdarmsyndrom handelt es sich nicht um eine Erkrankung, die auf eine Veränderung eines bestimmten Gens zurückzuführen ist, und auch nicht um eine sogenannte Erbkrankheit, also eine Erkrankung, die mit den Genen an die Nachfahren weitergegeben wird.
Das bedeutet allerdings nicht, dass die Erbanlagen des Betreffenden keine Rolle spielen. Es scheint vielmehr verschiedene Gene und Genkonstellationen zu geben, die das Auftreten eines Reizdarmsyndroms begünstigen.
Frage: Kann Stress ein Reizdarmsyndrom auslösen?
Antwort: Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Stress und dem Auftreten eines Reizdarmsyndroms ist bislang wissenschaftlich nicht belegt. Das bedeutet nicht, dass es keine Zusammenhänge zwischen der Erkrankung und Stresssituationen gibt, sondern lediglich, dass Stress nicht die Ursache der Erkrankung darstellt.
Stress kann allerdings ein wichtiger Faktor sein, der die Beschwerden bei einem Reizdarmsyndrom antreibt und verschlimmert. Das lässt sich folgendermaßen erklären: Wer unter hoher Belastung und unter besonderen Anforderungen steht oder längere Zeit in einer psychisch belastenden Situation lebt, ist innerlich angespannt, was sich bei entsprechender Empfindlichkeit des Organs auf den Darm übertragen kann.
Stresssituationen können somit durchaus die Symptome eines Reizdarmsyndroms verschlimmern. Stress kann außerdem seinerseits direkt dazu beitragen, dass sich die Funktionen im Magen-Darm-Trakt verändern. Das wurde in Untersuchungen an Menschen und auch anderen Spezies nachgewiesen. Fast jeder dürfte zudem das Phänomen schon am eigenen Leibe erfahren haben, wenn zum Beispiel am Tag vor einer anstehenden Prüfung der Magen wie gelähmt und Essen nicht möglich ist oder wenn sich der Darm vor einer Stresssituation, wie etwa einem Bewerbungsgespräch, akut mit einem dringlichen Stuhldrang bemerkbar macht. Auch wenn es sich hierbei um akute Reaktionen handelt, belegt dies doch, dass durchaus ein Zusammen- hang zwischen Stresssituationen und Darmreaktionen bestehen kann. So sind die normalerweise stattfindenden Reaktionen des Magen-Darm-Trakts auf Stress bei einer bereits im Normalzustand vorliegenden Funktionsstörung dann übermäßig ausgeprägt.
Hinzu kommt, dass der Mensch im Allgemeinen auftretende Beschwerden in schwierigen belastenden Lebenssituationen stärker wahrnimmt als in Zeiten, in denen er weitgehend problemlos und entspannt ist und gelassen sein Leben genießen kann. Wer längere Zeit psychisch angespannt lebt und Darmsymptome entwickelt, wird diese folglich als gravierender emp- finden und stärker unter den Symptomen leiden als in einer Zeit ohne besonderen Stress.
Nicht vergessen werden darf, dass das Reizdarmsyndrom selbst für so manchen Betroffenen ein Stressfaktor ist, sodass gelegentlich nicht zu unterscheiden ist, was „Henne“ und was „Ei“ ist.
Frage: Welche Rolle spielt die Psyche im Zusammenhang mit dem Reizdarmsyndrom?
Antwort: Es gab Zeiten, in denen das Reizdarmsyndrom als Erkrankung nicht richtig ernst genommen wurde, weil sich mit den verfügbaren Untersuchungsmethoden beim einzelnen Patienten keine eindeutige Krankheitsursache und keine klare krankhafte Veränderung fassen lassen.
Es schien leicht, die Symptomatik der Psyche zuzuschreiben. Inzwischen ist klar, dass es sich beim Reizdarmsyndrom keinesfalls um eine psychische Störung, sondern um eine organische, also eine vom Organ Darm ausgehende Erkrankung handelt.
Dennoch hat die Psyche Einfluss auf die Erkrankung, auf ihre Sympto- matik und vor allem auf deren Schweregrad. Ähnlich wie auch beim Phänomen Stress kann eine psychische Belastungssituation dazu führen, dass die Reizdarmbeschwerden sich verstärken und dass sie als besonders belastend erlebt werden. Dies wird über die Auswirkungen dieser Faktoren auf das vegetative Nervensystem und das endokrine System, also Hormone, vermittelt. Das gilt ebenso für psychische Erkrankungen wie eine Depression oder eine krankhafte Angststörung und erklärt, warum beide Krankheitsbilder – Reizdarmsyndrom und Depression oder Angststörung – überproportional häufig gemeinsam auftreten.
Das Phänomen ist übrigens in der Medizin nicht unbekannt und auch bei anderen Erkrankungen, wie etwa einer chronischen Müdigkeit („Chronic- Fatigue-Syndrom“) oder der Fibromyalgie, zu beobachten. Ebenso wie beim Reizdarmsyndrom handelt es sich bei diesen Krankheiten um Funktionsstörungen, die keine klinisch fassbare Ursache zeigen. Sie können ebenfalls durch Stress und auch durch psychische Krankheiten in ihrer Symptomatik verstärkt werden. Zu bedenken ist, dass auch verschiedene Funktionsstörungen nebeneinander vorliegen und sich gegenseitig beeinflussen können.
Frage: Ist die Ursache des Reizdarmsyndroms meine Ernährung?
Antwort: Treten Bauchschmerzen und Verdauungsstörungen auf, so liegt der Verdacht nahe, dies könne Folge der Ernährung sein. Denn selbstverständlich gibt es Zusammenhänge zwischen der Art und Weise, wie wir uns ernähren, und der Darmfunktion.
So werden sich Magen und Darm mit schwer verdaulicher Kost zwangsläufig schwerer tun und auf diese empfindlicher reagieren als auf eine ausgewogene leichte gesunde Ernährung. Und wer liebend gerne stark blähende Nahrungsmittel wie Zwiebeln, Kohl und Bohnen verzehrt, darf sich nicht wundern, wenn die bei der Verdauung entstehenden Gase entsprechende Beschwerden verursachen. Hierbei handelt es sich aber um akute Folgen der Nahrungsaufnahme, die sich in aller Regel innerhalb weniger Stunden spontan zurückbilden.
Davon abgesehen können auch Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder sogar eine Nahrungsmittelallergie bestehen, die die Symptome eines Reizdarmsyndroms vortäuschen können. So kann es sein, dass eine Glutenunverträglichkeit, also eine Zöliakie vorliegt, auch als Sprue bezeichnet. Patienten mit einer solchen Erkrankung reagieren auf den Verzehr des Eiweißstoffs Gluten, der in vielen Getreidesorten vorkommt, mit einer Darmentzündung und einem Verlust der Zotten im Darm, die eine gute Nährstoffaufnahme gewährleisten. Das kann zu Durchfall und weiteren Symptomen führen, die unter anderem an ein Reizdarmsyndrom denken lassen.
Ebenso kann eine Unverträglichkeit von Milchzucker, eine sogenannte Laktoseintoleranz, Darmbeschwerden verursachen, die ähnlich der Symptomatik beim Reizdarmsyndrom sind. Da, wie der Name schon andeutet, vor allem Milch und Milchprodukte besonders viel Milchzucker enthalten, reagieren Menschen mit Laktoseintoleranz nach deren Verzehr häufig mit Beschwerden. Es kommt dabei zu Blähungen, Bauchschmerzen, Bauchkrämpfen und Durchfällen. Der Arzt wird solche Zusammenhänge erfra- gen und mit den Untersuchungen unter anderem auch diese Krankheiten und Faktoren als Ursache der Symptome abklären.
Frage: Der Arzt spricht von Triggerfaktoren, was ist das?
Antwort: Es gibt bestimmte Faktoren und eventuell auch Lebensumstände, die bei Menschen mit einem Reizdarmsyndrom Beschwerden auslösen können.
Man nennt solche Faktoren auch „Triggerfaktoren“. Es kann sich um bestimmte Nahrungsmittel handeln, die verzehrt wurden, um Stress oder auch emotionale Belastungssituationen. Werden die Triggerfaktoren identifiziert, so kann man versuchen, seine Lebensweise so umzustellen, dass solche Faktoren möglichst nicht mehr wirksam werden.
Frage: Spielen Allergien eine Rolle beim Reizdarmsyndrom?
Antwort: Es gibt durchaus Menschen, die auf bestimmte Nahrungsmittel allergisch reagieren, bei denen also das Immunsystem überreagiert, wenn sie diese Nahrungsmittel verzehren.
Da Nahrungsmittelallergien oft mit Übelkeit, Erbrechen und auch Bauchschmerzen und Durchfällen einhergehen, können sie mit einem Reizdarmsyndrom leicht verwechselt werden. Zudem können Nahrungsmittelallergien die Symptome des Reizdarmsymdroms verstärken, sie sind aber nicht Auslöser dieser.
Grundsätzlich kann eine Nahrungsmittelallergie gegen alle Lebensmittel bestehen, besonders häufig sind jedoch Allergien gegen Nüsse, Schalentiere, Erdbeeren oder Sellerie. Neben den Magen-Darm-Beschwerden verursachen Nahrungsmittelallergien oft weitere Symptome wie eine Schwellung der Schleimhäute im Mundbereich nach dem Verzehr des jeweiligen Nahrungsmittels oder ein Kribbeln im Hals. Die Schleimhäute können in schweren Fällen massiv anschwellen, sodass sogar eine lebensbedrohliche Luftnot entsteht.
Beim Verdacht auf eine Nahrungsmittelallergie sollte diese daher unbedingt durch den Arzt abgeklärt werden.
Frage: Kann eine Darminfektion die Ursache der Reizdarmbeschwerden sein?
Antwort: Fragt man bei Menschen mit Reizdarmsyndrom genauer nach, so gibt es oft in der Vorgeschichte Hinweise auf den Beginn der Beschwerden nach einer Darminfektion.
Allerdings dürften fast alle Menschen die Frage, ob sie in den vergangenen Jahren einmal an einer Darminfektion gelitten haben, bejahen.
So gibt es zwar Hinweise darauf, dass sich das Reizdarmsyndrom im Anschluss an eine Darminfektion und/oder die Behandlung mit Antibiotika entwickeln kann, dies trifft aber auf höchstens jeden fünften Reizdarmpatienten zu.